Bundesarbeitsgericht: § 9.1. Alt. 1 AGG ist nicht anzuwenden

EWDE muss konfessionsloser Bewerberin Entschädigung zahlen

Wie die Pressesprecherin des Bundesarbeitsgerichts Stephanie Rachor im Anschluss an die Verhandlung des 8.Senats des Bundesarbeitsgerichts (BAG) gegenüber Medienvertretern ausführte, hat das BAG mit dem heutigen Urteil das „Selbstbestimmungsrecht“ der Kirchen neu akzentuiert.

Entgegen der ständigen Rechtsprechung des BVerfG, das die aus Artikel 140 GG erwachsende Autonomie der Kirchen sehr weit interpretiert, betont das BAG die Vorrangigkeit der Auslegung des Europäischen Gerichtshofs, der Bedingungen stellt.

Der Fall

Die Klägerin im Gespräch mit dem Präsidenten der Diakonie D U. Lilie vor der Verhandlung

Im Jahr 2013 war im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung e. V. die Stelle einer Referentin für das Projekt „Parallelberichterstattung zur UN-Antirassismuskonvention“ zu besetzen. In der Stellenausschreibung wurde u. a. die Zugehörigkeit zur evangelischen ersatzweise einer ACK Kirche gefordert. Die Bewerbung der konfessionslosen Klägerin wurde im weiteren Auswahlverfahren nicht berücksichtigt. Hierin sah die Klägerin eine religiöse Diskriminierung und erhob Klage auf Entschädigung gem. § 15 AGG.

Das Arbeitsgericht Berlin sprach der Klägerin eine Entschädigung zu. Das verklagte EWDE legte Berufung ein. Das Landesarbeitsgericht hob das erstinstanzliche Urteil auf. Die Klägerin legte Revision ein. Das Bundesarbeitsgericht wandte sich vor seiner Entscheidung an den EuGH und legte 2 Fragen zur Prüfung vor:

Kann der kirchliche Arbeitgeber selbst verbindlich bestimmen, ob eine bestimmte Religion eines Bewerbers nach der Art der Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung ist.

Des Weiteren wollte das BAG wissen, ob § 9 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz – konkret § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG – durch die Gerichte angewendet werden darf.

Die Antwort des EuGH war eindeutig

Bei der Besetzung von Arbeitsplätzen dürfen kirchliche Arbeitgeber nicht pauschal eine Religionszugehörigkeit fordern. So der EuGH in seinem Urteil vom 17.04.18. Die Zugehörigkeit zu einer Konfession darf nur zur Bedingung gemacht werden, wenn dies für die Tätigkeit „objektiv geboten“ ist. Dies gelte aber nur, wenn diese Bedingung bei der jeweiligen Tätigkeit „eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation“ darstelle. Diese Frage müssten im Streitfall nicht kirchliche Arbeitgeber, sondern die zuständigen nationalen Gerichte entscheiden.

Vor diesem Hintergrund entschied nun das BAG

Es kam zu dem Schluss, dass für die fragliche Stelle einer wissenschaftlichen Referententätigkeit, die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche nicht verlangt werden darf. Es folgte insoweit der Argumentation der Klägerin, sprach ihr jedoch nur einen Teil der geforderten Entschädigung zu. Das EWDE wurde verurteilt eine Entschädigung in Höhe von 2 Bruttomonatsverdiensten konkret 3.915,46 Euro zu zahlen.

Aus der Begründung: „Der Beklagte hat die Klägerin wegen der Religion benachteiligt. Diese Benachteiligung war nicht nach § 9 Abs. 1 AGG* ausnahmsweise gerechtfertigt“. Dem Urteil des EuGH folgend stellte das BAG fest, „dass § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG einer unionsrechtskonformen Auslegung im Einklang mit Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG** nicht zugänglich ist und deshalb unangewendet bleiben muss.“

Eine Rechtfertigung der Benachteiligung nach § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG scheidet daher aus.

Die Voraussetzungen für eine Rechtfertigung nach § 9 Abs. 1 Alt. 2 AGG liegen nicht vor.

Nach § 9 Abs. 1 Alt. 2 AGG – in unionsrechtskonformer Auslegung – ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion nur zulässig, wenn die Religion nach der Art der Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Religionsgemeinschaft bzw. Einrichtung darstellt. Vorliegend bestehen erhebliche Zweifel an der Wesentlichkeit der beruflichen Anforderung. Jedenfalls ist die berufliche Anforderung nicht gerechtfertigt, weil im konkreten Fall keine wahrscheinliche und erhebliche Gefahr bestand, dass das Ethos des Beklagten beeinträchtigt würde. Dies folgt im Wesentlichen aus dem Umstand, dass der jeweilige Stelleninhaber/die jeweilige Stelleninhaberin – wie auch aus der Stellenausschreibung ersichtlich – in einen internen Meinungsbildungsprozess beim Beklagten eingebunden war und deshalb in Fragen, die das Ethos des Beklagten betrafen, nicht unabhängig handeln konnte. Der Höhe nach war die Entschädigung auf zwei Bruttomonatsverdienste festzusetzen.

Erste Reaktionen

Wie nicht anders zu erwarten, bedauern die Diakonie Deutschland und die Evangelische Kirche in Deutschland die heutige Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts. In einer ersten Pressemitteilung heißt es:

„Gemeinsam mit der EKD wird die Diakonie Deutschland die Urteilsbegründung des BAG abwarten und prüfen, welche Konsequenzen ggf. daraus zu ziehen sind. Dazu gehört auch die Prüfung, ob gegen den Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht das Bundesverfassungsgericht angerufen wird. Grundsätzlich halten EKD und Diakonie am kirchlichen Arbeitsrecht und seiner Ausprägung einer christlichen Dienstgemeinschaft fest.

Es ist also zu erwarten, das sich das BVerfG erneut mit der Tragweite des kirchlichen „Selbstbestimmungsrechts“ zu befassen hat. In diesem Zusammenhang müsste dann auch die Frage des vom EuGH propagierten absoluten Anwendungsvorrangs des Unionsrechts, bzw. die dem möglicherweise entgegenstehenden Kontrollvorbehalte in Gestalt der Grundrechts-,Kompetenz- und Identitätskontrolle durch das BVerfG, entschieden werden.


 * § 9 Abs. 1 AGG lautet: „Ungeachtet des § 8 ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften, die ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder durch Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, auch zulässig, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.“

** Art. 4 Abs. 2 Richtlinie 2000/78/EG lautet: „Die Mitgliedstaaten können in Bezug auf berufliche Tätigkeiten innerhalb von Kirchen und anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, Bestimmungen in ihren zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie geltenden Rechtsvorschriften beibehalten oder in künftigen Rechtsvorschriften

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