Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg:
Arbeitnehmer soll Krankheitsdiagnosen nicht offenlegen müssen
Arbeitnehmer und ihre Ärzte sollen in einem Rechtsstreit um die Entgeltfortzahlung nicht mehr die Diagnose der Erkrankung offenlegen müssen. Nach einem am 8. Juli veröffentlichten Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Baden-Württemberg in Stuttgart müssen Arbeitgeber der Einschätzung der Krankenkassen vertrauen, dass eine Arbeitsunfähigkeit auf einer Ersterkrankung beruht, die den Arbeitgeber zur Lohnfortzahlung verpflichtet.
Damit widersprach das LAG der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in Erfurt, wonach Arbeitnehmer gegebenenfalls gezwungen sind, ihre Ärzte von der Schweigepflicht zu befreien.
Die als Gruppenleiterin angestellte Klägerin war innerhalb von rund sieben Monaten immer wieder arbeitsunfähig erkrankt, insgesamt rund 90 Tage. Fast jedes Mal stellte ihr Arzt eine neue Erkrankung fest, so dass der Arbeitgeber zur Entgeltfortzahlung verpflichtet war.
Bei der letzten Krankschreibung im März 2015 weigerte sich die Firma jedoch, für die erkrankte Mitarbeiterin aufzukommen. Es handele sich offenbar um eine Fortsetzungserkrankung. Die Frau könne nur noch Krankengeld von ihrer Krankenkasse beanspruchen, befand das Unternehmen.
Welche Diagnosen die Ärzte der Frau gestellt hatten, wusste der Arbeitgeber jedoch gar nicht. Laut Bundesarbeitsgericht kann der Arbeitgeber unter Umständen aber vom Beschäftigten verlangen, dass die Ärzte hierfür von der Schweigepflicht entbunden werden. (Az.: AZR 389/09)
Das LAG hielt das für widersprüchlich. Nach dem Sozialdatenschutz dürften Krankenkassen die Diagnosen dem Arbeitgeber nicht mitteilen. Daher sei es nicht einsichtig, dass dagegen Arbeitgeber ihre Mitarbeiter zur Offenlegung von Daten zwingen könnten, „die die Krankenkasse nicht hätte offenbaren dürfen“. Der Arbeitnehmer müsse daher so lange die Diagnosen zurückhalten können, „bis der Arbeitgeber Tatsachen vorlegt, die zu Zweifeln an der Richtigkeit der Mitteilung der Krankenkasse Anlass geben“.
Wegen seiner Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BAG ließ das Landesarbeitsgericht die Revision zu.
Entscheidung des LAG Baden-Württemberg Az.: 4 Sa 70/15 >> hier