Koalitionsvertrag und Arbeitszeit: Verlängerung oder gerechte Gestaltung?

Die Debatte um die tägliche Arbeitszeit ist in Deutschland erneut entflammt – angestoßen durch Diskussionen im Rahmen aktueller Koalitionsverträge auf Landes- und Bundesebene. Während einzelne politische Kräfte eine Flexibilisierung und teilweise sogar Verlängerung der täglichen Arbeitszeit fordern, wächst gleichzeitig der Ruf nach sorgesensiblen und geschlechtergerechten Arbeitszeitmodellen. Die entscheidende Frage lautet: Welche Zukunft wollen wir für unsere Arbeitsgesellschaft – eine, die auf maximale Verfügbarkeit setzt, oder eine, die soziale Verantwortung und Gleichstellung ernst nimmt?


Verlängerung der Arbeitszeit – ein Rückschritt?

Einige Vorschläge aus aktuellen Koalitionsverhandlungen fordern eine Lockerung der gesetzlichen Begrenzung der täglichen Arbeitszeit. Argumentiert wird häufig mit Fachkräftemangel, internationaler Wettbewerbsfähigkeit und dem Wunsch nach mehr individueller Flexibilität. Doch Flexibilität für wen? In der Praxis bedeutet eine Verlängerung der täglichen Arbeitszeit oft, dass Arbeitnehmer:innen länger verfügbar sein müssen – insbesondere in Branchen mit geringem Einfluss auf die eigene Zeiteinteilung.

Zudem zeigen Studien: Längere Arbeitszeiten führen nicht automatisch zu höherer Produktivität, sondern verstärken gesundheitliche Belastungen und soziale Ungleichheiten.


Was bedeutet „sorgesensible“ Arbeitszeit?

Der Begriff „sorgesensible Arbeitszeit“ rückt die unbezahlte Sorgearbeit – also Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen, emotionale Fürsorge – in den Mittelpunkt. Diese Arbeit wird noch immer überwiegend von Frauen geleistet. Arbeitszeiten, die sich nicht mit diesen Pflichten vereinbaren lassen, führen dazu, dass vor allem Frauen ihre Erwerbsbiografien unterbrechen, in Teilzeit arbeiten oder berufliche Chancen nicht wahrnehmen können.

Sorgesensible Arbeitszeiten bedeuten:

  • Flexible und verlässliche Arbeitszeitmodelle, die Familien- und Sorgearbeit berücksichtigen.
  • Recht auf temporäre Arbeitszeitreduzierung, ohne berufliche Nachteile.
  • Arbeitszeiten, die sich an Lebensrealitäten orientieren, statt an wirtschaftlichen Idealvorstellungen.

Geschlechtergerechte Arbeitszeiten – ein Muss für Gleichstellung

Geschlechtergerechte Arbeitszeitpolitik bedeutet, dass Arbeitszeitmodelle strukturelle Benachteiligungen ausgleichen, anstatt sie zu zementieren. Dazu gehört:

  • Verteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit zwischen den Geschlechtern fördern – durch Elterngeldregelungen, Partnermonate, aber auch durch betriebliche Kulturwandel.
  • Abkehr von der Norm der „Vollzeit plus X“, die auf das klassische männliche Ernährermodell zurückgeht.
  • Stärkung von Teilzeitmodellen für alle Geschlechter, ohne Stigmatisierung oder Karrierenachteile.

JETZT handeln – für eine moderne, gerechte Arbeitswelt

Statt über eine generelle Verlängerung der täglichen Arbeitszeit zu diskutieren, braucht es ein Umdenken: Eine moderne Arbeitsgesellschaft erkennt Sorgearbeit als systemrelevant an und gestaltet Arbeitszeitpolitik danach. Das muss sich auch in Koalitions- und Tarifverträgen widerspiegeln. Politik und Tarifparteien haben die Verantwortung, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Menschen nicht zwischen Beruf und Fürsorge zerrieben werden.

Dazu ein Kommentar der Hans Böckler Stiftung: Sorgesensible und geschlechtergerechte Arbeitszeiten – JETZT!