„Wir wollen selbst entscheiden, wann jemand evangelisch sein muss“

Diakonie zieht wegen Einstellungspraxis vor Bundesverfassungsgericht

So äußerte sich Ulrich Lilie, der Präsident des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung kurz EWDE, gegenüber Pressevertretern. Er begründete damit die, sicherlich nicht ohne entscheidenden Einfluss der Evangelischen Kirche EKD, getroffene Entscheidung des EWDE, gegen die Urteile des Bundesarbeitsgerichts und der damit im Zusammenhang stehenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs EuGH, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.

Beide Gerichte hatten im vergangenen Jahr entschieden, dass Kirchen und ihre Einrichtungen nicht in jedem Fall von Stellenbewerbern die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche verlangen dürfen.

Der EuGH urteilte auf Anfrage des BAG im April 2018, dass das Verlangen einer Kirchenzugehörigkeit von Stellenbewerbern „wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt“ sowie gerichtlich überprüfbar sein muss. Die Voraussetzung also wesentlich für die tatsächliche Arbeit und gerechtfertigt sein müsse. Das Bundesarbeitsgericht sprach auf dieser Grundlage im Oktober der Klägerin eine Entschädigung zu. Die konfessionslose Bewerberin hatte sich erfolglos um eine Referentenstelle beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung beworben. Siehe Meldung 

https://ag-mav.org/2018/10/26/bundesarbeitsgericht-%C2%A7-9-1-alt-1-agg-ist-nicht-anzuwenden/#more-14992

Durch diese Urteile sieht sich das EWDE, nach Aussage seines Präsidenten, in unzulässiger Weise im, nach eigenem Verständnis, verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht beschränkt.

„Wir brauchen Klarheit darüber, dass unser Recht auf Selbstbestimmung nicht durch EU-Recht ausgehöhlt wird“

„Wir sind aus gutem Grund evangelisch. Deshalb müssen wir auch die Möglichkeit haben, unser evangelisches Profil deutlich zu machen“. Das gelte auch für die Möglichkeit, „dass wir zunächst grundsätzlich von unseren Mitarbeitenden erwarten, dass sie evangelisch sind“, sagte der Diakonie-Präsident. Es gebe bereits Ausnahmen und Öffnungsregelungen im kirchlichen Arbeitsrecht. „Aber wir möchten selbst entscheiden können, wann von diesem Grundsatz abgewichen werden kann“, sagte Lilie.

Das BVerfG wird sich nun also erneut mit der Frage des kirchlichen Sonderstatus zu beschäftigen haben. Die Interpretation des in Artikel 140 des Grundgesetzes garantierte Selbstverwaltung der Religionsgemeinschaften und der Rang des bislang vom EuGH und dem BAG übergeordneten Europarechts wird entscheidend sein. Das BVerfG hat für diese Konstellation bereits durch die Formulierung ausdifferenzierter Kontrollvorbehalte in Gestalt der Grundrechts-, Kompetenz- und Identitätskontrolle entwickelt.*

Wir werden in den kommenden Tagen diese Entscheidung des EWDE einordnen, bewerten und kommentieren.


* Siehe hierzu: Prof. Dr. Markus Ludwigs und Patrick Sikora, Würzburg  „Der Vorrang des Unionsrechts unter Kontrollvorbehalt des BVerfG“   >> hier  


Bildrechte:

  • Ulrich_Lilie: © Diakonie/Thomas Meyer
  • BVerfG Roben: © Bundesverfassungsgericht