Mehrheit der Deutschen würde bei Karenztag krank arbeiten

Nachdem Oliver Bäte, Vorstandsvorsitzender der Allianz SE, vorgeschlagen hatte, den in den 70er Jahren abgeschafften Karenztag wieder einzuführen, schlug ihm eine Welle der Kritik entgegen. Nicht nur der eigene Konzernbetriebsrat stellte sich dieser Forderung energisch entgegen, auch die Versicherungs-Gewerkschaft „Neue Assekuranz Gewerkschaft“, kurz NAG, widersprach. Nun hat das Umfrageinstitut Civey im Auftrag der Portals web.de eine Umfrage durchgeführt, um die Auswirkung der Forderung zu erforschen.

Bäte will „Karenztag“ – was bedeutet das?

Da die 70er Jahre schon einige Zeit vergangen sind und diejenigen, die damals im Arbeitsleben standen mittlerweile mehrheitlich aus dem Arbeitsleben ausgeschieden sind, sei uns an dieser Stelle eine kurze Erläuterung erlaubt. Der Karenztag bedeutet nichts anderes, als dass Arbeitnehmer:innen am ersten Tag einer Arbeitsunfähigkeit keine Lohnfortzahlung erhalten. Dies galt bis in die 70er Jahre genau so und wurde, als Errungenschaft der Gewerkschaftsbewegungen, abgeschafft. Oliver Bäte möchte nun genau diese Errungenschaft zurückdrehen und den Karenztag wieder einführen.

Umfrage zeigt: Mehrheit würde krank arbeiten gehen

Im Auftrag des Portals web.de führte das Meinungsforschungsinstitut Civey nun eine Umfrage unter 5000 Erwachsenen durch. Davon gaben 53% an, bei Wiedereinführung des Karenztages dann erkältet zur Arbeit zu gehen. Nur 24% würden eindeutig zuhause bleiben. 13% waren sich unsicher, 10% machten keine Angabe.

Wenn die Umfrageergebnisse nach dem Alter der Befragten gestaffelt ausgewertet werden, lässt sich herauslesen, dass die Tendenz zum krank Arbeiten bei jüngeren Erwachsenen bis 39 Jahren mit über 60% am höchsten ist und dann mit steigendem Alter abnimmt. Doch trotz Abnahme bleibt die Tendenz zum krank Arbeiten auch in der Altersgruppe bis 64 Jahre noch bei über 50%, also der Mehrheit der Befragten.

Insgesamt lässt sich sagen, dass die Einführung eines unbezahlten Karenztages zu mehr Arbeit von erkrankten Arbeitnehmer:innen führt.

Gewerkschaften widersprechen – Forderung absurd

Es ist nicht überraschend, dass Bätes Forderungen auch auf Grundlage der genannten Umfrage bei den Gewerkschaften nicht auf Gegenliebe stoßen. Die Branchengewerkschaft NAG wurde bereits genannt, aber auch ver.di und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) haben sich deutlich ablehnend positioniert. Dies ist aus unserer Sicht nicht nur nachvollziehbar, sondern auch äußerst sinnvoll.

Mag es in Bätes Hauptspielfeld – der Versicherungswirtschaft – vielleicht noch mit einigermaßen abschätzbaren gesundheitlichen Konsequenzen einher gehen, wäre die Umsetzung seines Vorschlages in der Sozialwirtschaft ein unkalkulierbares Risiko. Die Berufe der Sozialbranche sind allesamt Mangelberufe, in denen wir uns einen längerfristigen Ausfall von Arbeitnehmer:innen nicht mehr leisten können, ohne Leistungseinbußen hinnehmen zu müssen. Insofern sollte doch der Arbeitgeberseite umso mehr daran gelegen sein, mit einem vernünftigen, gesundheitserhaltenden Gesundheitsmanagement zu verhindern, dass Arbeitnehmer:innen sich aus finanziellen Gründen erkrankt zur Arbeit schleppen und so die Kolleg:innen gleich mit in Gefahr bringen und schlimmstenfalls ganze Stationen, Wohnbereiche und Abteilungen anstecken. Dabei sei natürlich ganz besonders an die uns anvertrauten Personen in Pflegeheimen, Krankenhäusern, Tagespflegen und Wohngruppen gedacht, die bei Atemwegsinfektionen schnell in gesundheitlich kritische Zustände kommen können. Das betriebliche Risiko, einen größeren Grippe- oder Coronaausbruch durch den Karenztag zu provozieren, versichert wahrscheinlich nicht einmal die von Bäte geleitete Allianz.

Des Weiteren trifft die Maßnahme vorrangig diejenigen, die es sich aus sozialen Gründen nicht leisten können, auf den Lohn eines Tages zu verzichten. Hier sei insbesondere der Niedriglohnsektor mit den untersten Lohngruppen genannt. Ebenso lassen sich finanziell belastete Familien mit Kindern hervorheben. Insbesondere, da auch hier die Umfrage eine hohe Neigung zum krank Arbeiten feststellte. Letztlich ist die Maßnahme nur eine perfide Gehaltskürzung für kranke Arbeitnehmer:innen und daher gänzlich abzulehnen. Wer, wie Bäte, die Zahl der Krankheitstage massiv reduzieren möchte, der sollte den Umständen die zur Erkrankungen führen durch Präventionsmaßnahmen entgegen wirken. Bätes Vorschlag reduziert jedoch nicht Erkrankungen, sondern Krankmeldungen und läuft daher am eigentlichen Ziel völlig vorbei.