Mit dieser Frage sehen sich Arbeitnehmer:innen bisweilen konfrontiert. Nahezu jede:r Arbeitnehmer:in wird schon einmal in der Situation gewesen sein, in der Freizeit Nachrichten oder Anrufe vom Arbeitgeber erhalten zu haben. Aber: muss ich diese Nachrichten denn lesen? Muss ich ans Telefon gehen? Und wenn ich das nicht tue: was passiert mir dann? In diesen Fragen hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein nun in einem Urteil etwas Licht ins Dunkel gebracht. Die gute Nachricht: das Urteil stärkt die Rechte der Arbeitnehmer:innen.
Streitfall: Änderung im Dienstplan
Im vorliegenden Fall stritten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer um eine kurzfristige Änderung im Dienstplan, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer am Tag vor dem Arbeitstag mitteilen wollte. Telefonisch war der Arbeitnehmer nicht erreichbar, sodass der Arbeitgeber ihm eine E-Mail und eine SMS mit der Dienstplanänderung übermittelte und davon ausging, dass ihn diese Nachricht rechtzeitig erreichen würde. Dies war nicht der Fall, sodass dem Arbeitnehmer sogar eine Abmahnung erteilt wurde. Das Landesarbeitsgericht entschied nun, dass die Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen sei.
Bermerkenswerte Leitsätze
Die Leitsätze des Urteils sind durchaus interessant. So hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein unter anderem folgendes festgestellt:
- Mit der Änderung des Dienstplans eines Mitarbeiters übt der Arbeitgeber diesem gegenüber sein Direktionsrecht aus. Die Änderung muss dem Mitarbeiter zugehen, da es sich bei der Ausübung des Direktionsrechts um eine empfangsbedürftige Gestaltungserklärung handelt.
- Ein Mitarbeiter ist nicht verpflichtet, sich in seiner Freizeit zu erkundigen, ob sein Dienstplan geändert worden ist. Er ist auch nicht verpflichtet, eine Mitteilung des Arbeitgebers – etwa per Telefon – entgegenzunehmen oder eine SMS zu lesen. Nimmt er eine Information über eine Dienstplanänderung nicht zur Kenntnis, geht ihm diese erst bei Dienstbeginn zu.
Es ist also die Pflicht des Arbeitgebers, sicherzustellen, dass seine Willenserklärung (Ausübung des Direktionsrechts – hier: Anordnung eines Dienstes) dem/der Arbeitnehmer:in auch zugeht. Arbeitnehmer:innen müssen sich in ihrer Freizeit nicht nach Dienstplanänderungen erkundigen und sind nicht verpflichtet, Anrufe entgegenzunehmen oder Nachrichten zu lesen.
Interessante Auszüge aus der Begründung:
- In seiner Freizeit steht dem Kläger dieses Recht auf Unerreichbarkeit zu. Freizeit zeichnet sich gerade dadurch aus, dass Arbeitnehmer/innen in diesem Zeitraum den Arbeitgeber/innen nicht zur Verfügung stehen müssen und selbstbestimmt entscheiden können, wie und wo sie diese Freizeit verbringen. In dieser Zeit müssen sie gerade nicht fremdnützig tätig sein und sind nicht Bestandteil einer fremdbestimmten arbeitsrechtlichen Organisationseinheit und fungieren nicht als Arbeitskraft. Es gehört zu den vornehmsten Persönlichkeitsrechten, dass ein Mensch selbst entscheidet, für wen er/sie in dieser Zeit erreichbar sein will oder nicht.
- Beim Lesen einer SMS, mit der der Arbeitgeber sein Direktionsrecht im Hinblick auf Zeit und Ort der Arbeitsausübung konkretisiert, handelt es sich um Arbeitszeit. Der Kläger erbringt mit dem Lesen eine Arbeitsleistung.
Das gesamte Urteil ist hier veröffentlicht.
In Zukunft: mit gutem Gewissen nicht erreichbar sein
Für Arbeitnehmer:innen heißt das aus unserer Sicht, dass sie in Zukunft (aber auch bisher schon) guten Gewissens nicht erreichbar sein dürfen. Der Arbeitgeber legt durch sein Direktionsrecht fest, wann gearbeitet wird und wann man vor allem nicht mit Arbeit betraut ist. Es ist daher als Arbeitgeber sogar widersprüchlich, erst Freizeit festzulegen und die Arbeitnehmer:in dann doch in dienstlichen Belangen zu kontaktieren. Spätestens seit den DDN-Nachrichten vom 15.12.2022 wissen die Arbeitgeber das auch, denn dort ist der DDN explizit auf das dargestellte Urteil eingegangen und hat noch den Nachsatz „Arbeitgeber könnten durch eine geeignete Ablauforganisation, wie z. B. Rufbereitschaftssysteme, sicherstellen, flexibel auf nicht vorhersehbare Ereignisse zu reagieren.“ angefügt. Anrufe und Nachrichten in der Freizeit sind laut DDN also gar nicht notwendig – und das sehen wir ganz genauso.