Arbeitgeber und FDP kritisieren telefonische Krankschreibung

Seit Dezember 2023 ist es nun dauerhaft möglich, bei leichteren Erkrankungen nach telefonischem Kontakt mit der behandelnden Praxis eine Krankschreibung zu erhalten. Erstmal war dies während der Coronapandemie eingeführt worden, um die Praxen zu entlasten. Nun kritisieren Arbeitgeber und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) dieses Vorgehen und möchten es abschaffen. Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband verteidigt die Regelung jedoch.

Arbeitgeber stellen Missbrauch der Regelung in den Raum

Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter, erklärte bereits im vergangenen Dezember: „Die neuerliche telefonische Krankschreibung ist eine Fehlleistung der Gesundheitspolitik.“. Angesichts der weiterhin hohen Quote an Krankschreibungen sah er auch einen negativen Einfluss auf den Betriebsfrieden, „da eine Untersuchung in einer Praxis stets Grundlage für eine gesicherte Diagnose-Stellung war.“ Inwiefern der Betriebsfrieden tatsächlich durch einen fehlenden Praxisbesuch gefährdet ist, kann an dieser Stelle getrost dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist für uns klar, dass misstrauische und voreingenommene Arbeitgeber den Betriebsfrieden deutlich mehr stören, als ein fehlender Praxisbesuch einzelner Arbeitnehmer:innen.

Auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) springt auf den Kritikzug auf und äußerte vor kurzem: „Man wird für die Krankmeldung zukünftig wieder zum Arzt gehen müssen und das nicht einfach nur telefonisch erledigen können.“ Es gäbe „eine Korrelation zwischen dem jährlichen Krankenstand in Deutschland und der Einführung der Maßnahme, die als guter Bürokratieabbau gedacht war“. Nun ist insbesondere in den letzten Wochen und Monaten offenkundig, dass Lindner mit seinen Erklärungen im zunehmenden Maße weder Freunde bei den anderen Koalitionsparteien, noch in der Gesellschaft findet, sodass die Erklärungen in gleichem Maße zunehmend an Gehalt und inhaltlicher Relevanz verlieren. Dass die Maßnahme, die durch den gemeinsamen Bundesausschuss – also Ärzten, Krankenkassen und Kliniken – beschlossen wurde, nun durch die Bundesregierung zurückgedreht wird, ist sehr unwahrscheinlich. Allerdings verwechselt Lindner hier in alarmierendem Maße auch die von ihm genannte Korrelation (die zweifelsfrei besteht) mit der Kausalität. Diese konnte nämlich bisher nicht nachgewiesen werden und erscheint angesichts einer Vielzahl von einflussnehmenden Faktoren auch als nicht sehr wahrscheinlich.

Ärzteverband und AOK-Vorstandsvorsitzende verteidigen Regelung

Den Äußerungen der Arbeitgeber und des Bundesfinanzministers stellt sich der Hausärztinnen- und Hausärzteverband entschieden entgegen. „Die Einführung der Telefon-AU war aus medizinischer Sicht sinnvoll und ist bisher eine der ganz wenigen erfolgreichen politischen Maßnahmen zur Entbürokratisierung des Gesundheitswesens“, sagte die Co-Vorsitzende des Verbandes, Nicola Buhlinger-Göpfarth, der „Rheinischen Post“. Und weiter: „Die Unterstellungen, dass sich die Menschen mithilfe der Telefon-AU einen schlanken Fuß machen, können wir aus unserer täglichen Arbeit nicht bestätigen.“

Die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Dr. Carola Reimann, stößt ins gleiche Horn und äußert im Interview mit dem „Handelsblatt“: „Ich glaube, dass sich niemand grundlos krankmeldet“. Sie sieht die Ursachen für die hohen Krankenstände vielmehr bei einem erhöhten Bewusstsein für die Gefahr durch Atemwegsinfekte. Aber insbesondere auch die hohe Zahl psychischer Erkrankungen, die seit Jahren stark steigen, wird von ihr als Ursache genannt. Diese würden oft mit langfristigen Arbeitsunfähigkeiten einher gehen und dadurch auch die Durchschnittswerte der Statistik nach oben ziehen. Zudem sei durch die Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eine Lücke im System geschlossen, da nun alle Krankschreibungen auch in der Krankenkasse erfasst würden. Dies sei vorher nicht der Fall gewesen, wenn Arbeitnehmer:innen bspw. die Bescheinigung nicht bei der Krankenkasse eingereicht hatten.

Fazit: Liebe Arbeitgeber, lieber Herr Linder, Vertrauen ist das Stichwort

Aus unserer Sicht ist die Haltung der Arbeitgeberverbände und von Herrn Lindner absolut schädlich für den Betriebs- und Gesellschaftsfrieden. Insbesondere in der Diakonie haben Arbeitnehmer:innen über die Pandemie lange Zeit ein System an den Grenzen der Belastbarkeit am Laufen gehalten. Dieser Leistung nun mit Misstrauen zu begegnen, wird die Krankheitsquoten in den Betrieben auch nicht wieder senken. Es zeigt vielmehr die wirkliche Gesinnung der handelnden Personen, die sich damit mehr oder weniger offen gegen Arbeitnehmer:innen richten. Wir weisen solche Pauschalverdächtigungen, die zudem auf keiner wissenschaftlichen Grundlage beruhen, entschieden zurück.