Ev. Stiftung Neuerkerode fordert Schulgeldfreiheit für Heilerziehungspfleger:innen

Die Ev. Stiftung Neuerkerode (esn) fordert in einem Beitrag auf ihrer Homepage die Schulgeldfreiheit in der Heilerziehungspflege und bemängelt, dass das Schulgeld nicht schon längst abgeschafft ist. Dabei verkennt sie jedoch, dass andere diakonische Arbeitgeber schon längst viel weiter sind und die Ausbildung attraktiver gestalten. Wir möchten die Aussagen des Beitrags im Folgenden in einen vernünftigen Kontext setzen.

Schulgeld in der Ausbildung – rund 100€ fallen an

In den Informationen zur Ausbildung in der Ev. Stiftung Neuerkerode wird ein von den Auszubildenden zu übernehmendes Schulgeld in Höhe von 95€ genannt. Mit 100€ nennen die Rotenburger Werke einen ähnlichen Betrag.

Annegret Jäkel, Schulleitung der Berufsfachschule Heilerziehungspflege der Ev. Stiftung Neuerkerode beklagt sich im Beitrag vor allem darüber, dass das Schulgeld in der Altenpflege weggefallen ist, in der Heilerziehungspflege jedoch nicht:

„Hier gab es den sogenannten´Niedersachsen-Plan´ gegen den Fachkräftemangel. Die Heilziehungspflege wurde nicht berücksichtigt und kämpft seitdem kreativ, andauernd, verzweifelt und hartnäckig dafür, auch beachtet zu werden. Denn auch hier herrscht großer Fachkräftemangel, auch hier schließen Schulen diese Ausbildung, weil sie sich immer weniger Schüler:innen leisten können – dazu noch ohne Ausbildungsvergütung!“

Annegret Jäkel, Schulleiterin Heilerziehungspflege Ev. Stiftung Neuerkerode – Link zur Quelle

Insgesamt besteht laut Jäkel also die Befürchtung, dass aufgrund der rund 100€ Schulgeld weniger junge Menschen in die Ausbildung der Heilerziehungspflege gehen und der Beruf an Attraktivität verliert.

Doch wie läuft die Ausbildung anderswo?

Schauen wir doch einmal, wie die Ausbildung bei anderen diakonischen Ausbildungsträgern organisiert und vergütet ist. Dabei fallen alle genannten Einrichtungen unter die Anwendung des TV DN und sind niedersächsische, diakonische Einrichtungen.

  • Rotenburger Werke
    Die Rotenburger Werke werben auf ihrer Homepage mit einer tariflichen Ausbildungsvergütung von über 1000€ nach TV DN und übernehmen darüber hinaus für die bei ihnen auch praktisch ausgebildeten angehenden Heilerziehungspfleger:innen das Schulgeld.
  • Lilienthaler Diakonie
    Die Lilienthaler Diakonie hat auf ihrer Homepage ebenso die Ausbildungsvergütung nach TV DN erwähnt. Das Schulgeld kommt in der Ausschreibung mit keiner Silbe vor, wird aber nach unseren Informationen ebenfalls von der Lilienthaler Diakonie übernommen.
  • Heilpädagogische Hilfe Osnabrück (HHO)
    Auch die HHO wirbt auf ihrer Homepage mit einer tariflich festgelegten Ausbildungsvergütung und erwähnt das Schulgeld nicht.
  • Diakovere
    Wer bis hierhin aufmerksam gelesen hat, den wird folgendes nicht verwundern: auch Diakovere nennt auf der Homepage eine tarifliche Ausbildungsvergütung und erwähnt kein Schulgeld.

Es wird deutlich: anderswo ist es durchaus möglich, den Auszubildenden eine tarifliche Vergütung zu zahlen. Das Schulgeld wird oft nicht erwähnt. Hier ist unklar, ob es den Auszubildenden von der Vergütung abgezogen wird oder nicht. Fakt ist: eine tarifliche Ausbildungsvergütung gibt es.

Wo klemmt es nun in Neuerkerode?

Die Frage ist: warum beklagt Neuerkerode sich über drohende Rückgänge der Ausbildungszahlen? Dazu muss man die oben genannten Einrichtungen in den Vergleich zu Neuerkerode setzen. Schnell lässt sich feststellen: die Ev. Stiftung Neuerkerode gewährt keine Schulgeldfreiheit und zieht ihren Auszubildenden das Schulgeld ab. Des Weiteren ist auf der Homepage folgendes zu finden:

Alle Schüler:innen, die ihre Praxisstelle in der Evangelischen Stiftung Neuerkerode wählen, erhalten eine Aufwandsentschädigung (von 400 – 500 € je nach Ausbildungsjahr) und können sich bei Bedarf zusätzlich durch eine stundenweise Aushilfsstelle finanzieren. Im Einzelfall ist eine Förderung z. B. nach dem Bundesausbildungs-Förderungsgesetz (BAFöG) möglich.
Wir vergeben auch einige Verträge mit Ausbildungsvergütung (ca. 1.000 € pro Monat ), die mit anderen Bedingungen in der Praxisarbeitszeit verknüpft sind.

Damit ist der Knackpunkt eigentlich genannt. Die Ev. Stiftung Neuerkerode vergibt nur „einige“ Verträge mit Ausbildungsvergütung. Dies auch nur unter „anderen Bedingungen in der Praxisarbeitszeit“. Dass „andere Bedingungen“ hier nicht besser sein werden, ist zumindest äußerst wahrscheinlich. Alle Auszubildenden, die keinen dieser Vergütungsverträge erhalten, bekommen maximal eine Aufwandsentschädigung in Höhe eines besseren Taschengelds und dürfen das gnädige Angebot annehmen, sich außerhalb der Vollzeitausbildung über einen zusätzlichen Hilfsjob in den Praxisbereichen (dann i.d.R. am Wochenende) etwas dazu zu verdienen. Der mögliche Stundenumfang ist dabei begrenzt, sodass sie mit deutlich mehr Aufwand nicht auf die eigentlich nach TV DN zu zahlende Ausbildungsvergütung kommen dürften.

Liebe Ev. Stiftung Neuerkerode, liebe Frau Jäkel!

Ja, das Schulgeld in der Heilerziehungspflege gehört abgeschafft. Ja, es ist nicht mehr zeitgemäß. ABER: zeitgemäß ist eine angemessene Vergütung für ALLE Auszubildenden. Und in Neuerkerode liegt es offensichtlich nicht am Schulgeld, dass die Ausbildungszahlen schwinden. Wenn andere diakonische Einrichtungen unseres Bundeslandes das schaffen, sollte es auch bei Ihnen möglich sein, alle Auszubildenden angemessen zu vergüten. Sie müssen es nur machen! Übernehmen Sie das Schulgeld! Zahlen Sie allen eine Ausbildungsvergütung!