Niedersachsens Metall-Arbeitgeberverband dreht frei

Angesichts der aktuell schwierigen wirtschaftlichen Lage vieler niedersächsischer Metallunternehmen möchte man meinen, es gäbe sicherlich wichtigere Themen für einen Arbeitgeberverband, als sich an den eigenen Arbeitnehmer:innen abzuarbeiten. Dennoch schafft es Volker Schmidt, der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall, in den letzten Monaten immer wieder mit merkwürdigen Vorschlägen in die Medien.

Anfang September eine Idee zur Bezahlung von Arztbesuchen

Anfang September forderte Schmidt, dass Patient:innen die Kosten eines Arztbesuches erst einmal vorstrecken und später von den Kassen erstattet bekämen. Seiner Ansicht nach fördere dies das Kostenbewusstsein und man würde sich dreimal überlegen, ob man mit jeder Erkrankung gleich eine Arztpraxis aufsuchen müsse. Was vom Arbeitgeberverband als Vorschlag zur Konsolidierung der Krankenkassen und zur wirtschaftlichen Stabilisierung der Sozialsysteme gesehen wird, ist nichts anderes als der verkappte Versuch, Arztbesuche und damit die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit zu verhindern. Der Arbeitgeberverband möchte erkrankte Arbeitnehmer:innen an die Arbeitsplätze zwingen.

Die Folgen wären fatal: für chronisch kranke oder sozial schwache Patient:innen wäre ein Vorstrecken der Kosten gar nicht möglich. Dies ist auch der am häufigsten genannte Kritikpunkt an diesem Vorschlag unter den Social-Media-Beiträgen des NDR zu diesem Thema. Eine nicht-repräsentative Umfrage des NDR auf seiner Homepage kommt zu dem Ergebnis, dass über 90% der ca. 15.000 Abstimmenden den Vorschlag des Arbeitgeberverbandes ablehnen. Dennoch ist mindestens ein Teilziel des Arbeitgeberverbandes NiedersachsenMetall erreicht: der öffentliche Diskurs ist verschoben und es wird öffentlich über Kürzungen am Sozialstaat debattiert.

Abschaffung telefonischer Krankmeldungen und Rente mit 70

Im November ging es dann weiter. So titelt die Braunschweiger Zeitung an zwei Tagen hintereinander erst die Aussage „Telefonische Krankschreibung abschaffen“ und dann „Rente mit 70 ist längst überfällig“, beides ebenfalls aus dem Mund des NiedersachsenMetall-Geschäftsführers Volker Schmidt.

Die telefonische Krankschreibung ist Schmidt dabei ein Dorn im Auge. Im internationalen Vergleich hätte Deutschland zu viele Kranktage. Zudem sieht er eine erhöhte Neigung zu kurzzeitigen Krankmeldungen in der Altersgruppe der 18- bis 30-jährigen. Im Kontext zu seiner Aussage aus dem September, in der er vermeintlich noch die Entlastung der Arztpraxen im Sinn hatte, wird nun deutlich: um die Entlastung der Arztpraxen ging es ihm nie. Schließlich hatten die Kassenärztlichen Vereinigungen zuletzt selbst vorgeschlagen, die Frist zur Einreichung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu verlängern, um unnötige Arztkonsultationen bei leichteren Erkrankungen zu vermeiden und so die Praxen zu entlasten. Schmidt macht hier genau den gegenteiligen Vorschlag und möchte den Praxen wieder ausschließlich Präsenzarbeit verordnen. Der rote Faden dahinter: wer erkrankt ist, soll sich die Arztpraxis nicht leisten können (und daher lieber zur Arbeit kommen) oder muss für eine vergleichsweise leicht zu kurierende Erkältungskrankheit trotzdem die hohe und teilweise durchaus belastende Hürde des Praxisbesuches nehmen (oder eben lieber zur Arbeit kommen).

Zu allem Überfluss möchte Schmidt nur einen Tag später dann auch zum Thema des Renteneintrittsalters zitiert werden und benennt die Rente mit 70 als „längst überfällig“. Als Vergleich zieht er den Nachbarstaat Dänemark heran, in dem das Renteneintrittsalter auf 70 Jahre angehoben wurde. Was er nicht sagt: in allen anderen europäischen Staaten liegt das Renteneintrittsalter bei 67 Jahren, wie in Deutschland auch. Vergleicht man nun die tatsächlichen Renteneintritte, liegt Deutschland mit knapp über 63 Jahren sogar über dem europäischen Durchschnitt. Fakt ist also: Arbeitnehmer:innen gehen heute schon viel früher in Rente, als sie es eigentlich sollten. Ein nicht unerheblicher Anteil davon geht sicherlich, da die Arbeitsbedingungen und -belastungen kurz vor dem Renteneintritt kaum noch tragbar sind. Kurz gesagt: nur weil das Renteneintrittsalter erhöht wird, können Arbeitnehmer:innen nicht automatisch auch länger arbeiten. Werden die Arbeitsbedingungen nicht angepasst, wird schwere körperliche Arbeit nicht bis zum 70. Lebensjahr zu leisten sein.

Ganz davon abgesehen haben die großen niedersächsischen Metallunternehmen, darunter ein Automobilkonzern und ein Stahlkonzern, derzeit nicht das Problem, dass sie die große Nachfrage durch Personalmangel nicht bedienen können. Viel mehr fehlt es aus unterschiedlichsten Gründen an der entsprechenden Nachfrage. Inwiefern da verzögerte Renteneintritte helfen, bleibt Volker Schmidts Geheimnis.