Viele Unternehmen umgehen Mitbestimmung

„Viele Unternehmen umgehen Mitbestimmung“ – zu diesem Fazit kommt die Hans-Böckler-Stiftung nach Auswertung einer Studie des Institutes für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.). Die deutschen Mitbestimmungsgesetze, die die demokratische Teilhabe der Arbeitnehmer:innen sichern sollen, werden nicht eingehalten. Dadurch entgeht beispielsweise 2,45 Millionen Arbeitnehmer:innen die eigentlich notwendige paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsgremium.

Nur noch 60 Prozent der Unternehmen halten sich an Unternehmensmitbestimmung

Von 1084 Unternehmen mit mehr als 2000 Arbeitnehmer:innen hätten in 2022 nur noch 656 den vorgeschriebenen paritätisch besetzten Aufsichtsrat gehabt, das entspricht 60 Prozent. Noch in 2019 waren es 67 Prozent. Von den 428 Unternehmen ohne entsprechende Besetzung des Aufsichtsrates nutzten 256 mit mehr als 1,7 Millionen Arbeitnehmer:innen legale juristische Tricks um die Mitbestimmung zu umgehen. 172 Unternehmen ignorierten die Mitbestimmungsgesetze schlicht gänzlich, was nur möglich sei, da die Verstöße nicht wirksam sanktioniert würden.

„Mindestens vier von zehn Großunternehmen verweigern ihren Beschäftigten mittlerweile also die paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat“, erklärt Sebastian Sick, Studienautor. Dadurch seien mittlerweile 111 Unternehmen weniger mitbestimmt, als vor gut 20 Jahren. Dies sei eine ernsthafte Gefährdung für das deutsche Modell der Sozialpartnerschaft. „Wenn demokratische Rechte nur auf dem Papier stehen, stellt das sowohl die Glaubwürdigkeit eines Rechtsstaats in Frage als auch die soziale Marktwirtschaft. Mitbestimmung auszuhöhlen ist politisch und ökonomisch ein Riesenfehler, eine Hypothek für die Zukunft der sozial-ökologischen Transformation“, sagt Daniel Hay, wissenschaftlicher Direktor des I.M.U.

Weltliche Probleme in der Diakonie nicht unbekannt

Auch in der Diakonie sind diese weltlichen Probleme nicht unbekannt, wenngleich es bis zur MVG-EKD-Novellierung Ende 2023 gedauert hat, um überhaupt eine Regelung zur Unternehmensmitbestimmung in einem kirchlichen Gesetz zu implementieren. Diese soll nun durch das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung (EWDE) bis 2028 verbindlich umgesetzt werden.

Vor der MVG-EKD-Novellierung gab es lediglich eine Verbandsempfehlung der Diakonie, welche jedoch nahezu flächendeckend ignoriert wurde. Dabei war hier nicht einmal von einer paritätischen Besetzung der Aufsichtsgremien die Rede, sondern nur der Beteiligung einzelner Arbeitnehmer:innen. Dies alleine ist schon politisch fraglich, stellt das kirchliche Arbeitsrecht doch sehr stark auf den unsäglichen Begriff der Dienstgemeinschaft ab und versucht damit darzustellen, dass Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen gemeinsam für die Geschicke der Unternehmen verantwortlich wären. Dies gilt offenbar aber nicht für die gleichberechtigte gemeinsame Wahrnehmung entscheidender Funktionen im Unternehmen.

Es bleibt abzuwarten, wie das EWDE die Vorgabe des kirchlichen Gesetzgebers nun umsetzen möchte und ob dies die gewünschte Wirkung entfaltet. Da die Umsetzung rein über eine verbandliche Satzungspflicht erfolgt, wird die Kernfrage sein, ob die diakonischen Arbeitgeber:innen gewillt sind, diese Satzungspflicht auch umzusetzen. Die Möglichkeit der juristischen Durchsetzung des Rechtes auf Unternehmensmitbestimmung scheinen kaum vorhanden zu sein. Für Satzungsverletzungen eines eingetragenen Vereins – und das sind das EWDE und die beteiligten Diakonischen Werke – steht nunmal der Vereinsausschluss. Aber eine Krähe hackt der anderen ja bekanntlich kein Auge aus.