„Kirchliche Privilegien beseitigen!“ titelt die am Dienstag erschienene ver.di-Pressemitteilung zu den Ergebnissen der 20. Fachtagung für kirchliches Arbeitsrecht, welche am 14. und 15. November in Kassel stattgefunden hat. Vor Ort wurde von den ca. 220 Teilnehmenden unter anderem eine Resolution zur Abschaffung des kirchlichen Arbeitsrechts verabschiedet und den zur Podiumsdiskussion angereisten MdB Frank Bsirske (Bündnis 90/Die Grünen) und Kaweh Mansoori (SPD) stellvertretend überreicht.
20. Jubiläum der Fachtagung
Die Fachtagung 2022 stand dieses Mal als Jubiläumsfachtagung unter dem Thema „Kirchliches Arbeitsrecht abschaffen – was sonst?“. Veranstaltet wird die Fachtagung im jährlichen Rhythmus von der Gewerkschaft ver.di, der Bundeskonferenz der Arbeitsgemeinschaften und Gesamtausschüssen der Mitarbeitervertretungen in der Diakonie, der Fachzeitschrift Arbeitsrecht+Kirche und dem Verein Diakonische Arbeitnehmerinnen Initiative. Mit über 200 Teilnehmenden – in diesem Jahr waren es 220 – ist die Fachtagung jedes Jahr sehr gut besucht und mittlerweile eine feste Größe in der Jahresplanung vieler Mitarbeitervertreter:innen.
Intensive Diskussionen, große Einigkeit – eine Resolution
Das Thema der diesjährigen Fachtagung wurde nicht zuletzt durch die Absichtserklärung der Bundesregierung im Koalitionsvertrag gesetzt. Diese schreibt dort, sie möchte gemeinsam mit den Kirchen prüfen, wo das kirchliche Arbeitsrecht dem weltlichen angeglichen werden kann. Dies ist auch dringend notwendig, fanden die anwesenden Mitarbeitervertreter:innen. Die strukturellen Nachteile als Arbeitnehmer:innen unter kirchlichem Arbeitsrecht können und wollen sie nicht länger hinnehmen.
Die Kirchen zeigen, dass sie auch im Jahr 2022 noch nicht bereit sind, grundlegende Freiheits- und Schutzrechte anzuerkennen. Deshalb muss die Bundesregierung jetzt eingreifen und dafür sorgen, dass staatliche Gesetze auch in den Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden greifen.
Mario Gembus, für die Kirchen zuständiger Gewerkschaftssekretär in der ver.di Bundesverwaltung
Um der Ablehnung des kirchlichen Sonderprivilegs mehr Gewicht zu verschaffen, verabschiedeten die rund 220 anwesenden Mitarbeitervertreter:innen eine Resolution. Diese stellt fünf Kernforderungen an die Politik:
- Die Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes für eine stärkere und wirksamere Mitbestimmung in unseren Betrieben
- Die Anwendung der Gesetze über Unternehmensmitbestimmung, um in kirchlichen Konzernen eine Arbeitnehmerbeteiligung bei unternehmerischen Entscheidungen sicherzustellen
- Die Stärkung der individuellen Rechte der Beschäftigten, z.B. durch Abschaffung kirchlicher Diskriminierungsprivilegien im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, die u.a. die Kündigung wegen Kirchenaustritts ermöglichen
- Die Abschaffung gesetzlicher Sonderregelungen, die kirchliche Arbeitsvertragsrichtlinien mit Tarifverträgen gleichsetzen und so die Verschlechterung gesetzlicher Schutzregelungen für Arbeitnehmende ermöglichen, z.B. im Arbeitszeitgesetz
- Die Stärkung der ausnahmslosen Tarifpartnerschaft mit den Gewerkschaften statt des so genannten 3. Weges, der Beschäftigtengrundrechte z.B. durch ein kirchliches Streikverbot einzuschränken versucht
Die Forderungen zielen allesamt darauf ab, das kirchliche Arbeitsrecht in seiner Sonderform so schnell es geht abzuschaffen und die rund 1,8 Millionen darunter fallenden Arbeitnehmer:innen in Kirchen, Diakonie und Caritas unter weltliches Arbeitsrecht zu stellen. Die ganze Resolution haben wir an dieser Stelle veröffentlicht.
Beide Bundestagsmitglieder im Einklang
Bei der abschließenden Podiumsdiskussion zeigte sich schnell, dass die beiden anwesenden MdB inhaltlich keinen Dissens zwischen ihren Positionen sehen. Aus Sicht von Kaweh Mansoori sei die Frage nicht, ob das kirchliche Arbeitsrecht dem weltlichen angeglichen werde, sondern wie und vor allem wann. Der ehemalige ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske bezeichnete die systematische Schlechterstellung von kirchlichen Beschäftigten gar als „Akt der Usurpation, für den es keine Grundlage gibt“ und forderte die betroffenen Beschäftigten auf, das politische Vorhaben auch lautstark auf der Straße zu unterstützen: „Dieser institutionelle Ausnahmezustand muss überwunden werden.“ Dieser Forderung können wir uns als agmav Niedersachsen ausnahmslos anschließen und möchten auch unsererseits dazu aufrufen, die verabschiedete Resolution gemeinsam mit dem Thema in die Betriebe und zu den Arbeitnehmer:innen zu tragen, um diese bisher einmalige Chance für mehr Demokratie und Gleichberechtigung in den Einrichtungen von Kirche, Diakonie und Caritas zu nutzen.
Aus unserer Sicht ist eines klar: die Kirchen sind in diesem Thema ganz und gar nicht zum großen Wurf bereit und möchten mit aller Macht an soviel wettbewerbsbevorteilenden Privilegien festhalten, wie irgend möglich. In dieser Frage wird es daher zwischen ihnen und den Arbeitnehmer:innen keinen Konsens geben. Wir sollten hier auch nicht auf einen Konsens setzen, denn wohin uns vermeintlich „konsensorientierte“ Arbeitsrechtssetzung und der 3. Weg gebracht haben, sehen wir ganz deutlich: zu substanziell schlechteren Arbeitnehmer:innenrechten im Bereich der Kirchen. Diesen Weg möchten wir mit aller Kraft verlassen und für dieses Ziel müssen wir aufstehen und uns stark machen – auch und besonders weil das nicht im Konsens mit den Kirchen und vor allem nicht „einfach“ gehen wird!