Die Arbeitskampfbereitschaft der Beschäftigten hat sich im Laufe der letzten Jahre erhöht. Laut einer Statistik des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung war das Jahr 2023 ein sehr konfliktintensives Jahr. Sowohl die Zahl der Arbeitskämpfe als auch die durch Streiks ausgefallenen Arbeitstage haben sich gegenüber 2022 deutlich erhöht und zogen sich über Monate hin. Der Höchststand der Anzahl der ausgefallenen Arbeitstage von 2015 wurde allerdings nicht erreicht. >> Arbeitskämpfe – mehr Streiks
Für 2023 haben die Studienautorinnen insgesamt 312 Arbeitskämpfe ermittelt – 87 mehr als 2022. Rechnerisch fielen dadurch 1.527.000 Arbeitstage aus – mehr als doppelt so viele wie 2022. Etwas anders sah hingegen die Entwicklung bei der Streikbeteiligung aus: Wurden 2023 über alle Arbeitsniederlegungen hinweg insgesamt 857.000 Streikteilnehmerinnen gezählt, waren es 2022 rund 930.000 gewesen. Das Jahr 2024 dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls ein arbeitskampfintensives Jahr werden, so das WSI.
In der internationalen Streikstatistik, bei der die arbeitskampfbedingten Ausfalltage pro 1.000 Beschäftigte miteinander verglichen werden, liegt Deutschland weiterhin im unteren Mittelfeld laut des WSI. Spitzenreiter im Arbeitskampf sind Belgien, Frankreich, Finnland und Kanada. Schlusslichter der Statistik sind Schweiz, Österreich, Schweden und Slowakei, hier werden Arbeitskämpfe sehr selten ausgetragen.
Grundsätzlich rücken Arbeitskämpfe mehr in die Öffentlichkeit, da sie immer häufiger unmittelbare Auswirkungen auf den Alltag vieler Menschen haben. Wie die Auseinandersetzungen im öffentlichen Dienst, der Post oder dem Verkehrs- und Gesundheitswesen. Wie konfliktreich ein Tarifkampf abläuft, hängt sowohl von der Gewerkschaft und der Entschlossenheit sowie Kompromissbereitschaft seiner Mitglieder ab als auch von Eskalationsbereitschaft der Arbeitgeber.
Ausnahme kirchliches Arbeitsrecht – Du sollst nicht streiken gegen Gott
In der Bereitschaft zum Arbeitskampf bestehen weiterhin Unterschiede zwischen dem weltlichen Arbeitsmarkt und kirchlichen Trägern. Kirchliche Arbeitgeber beschäftigen bei den Kirchen selbst und bei deren Wohlfahrtsverbänden wie Caritas und Diakonie bundesweit mehr als 1,5 Millionen Menschen. Wenn es darum geht, Forderungen ihrer Belegschaften nach arbeitsrechtlicher Gleichbehandlung abzuwehren, kennen sie kein Pardon. Das zeigt ein aktueller Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Erfurt. Die Kirchen- und Arbeitgeberseite besteht auf dem, was sie „Dritter Weg“ nennt. Ein Weg, den jedoch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als Diskriminierung ansehen – im Vergleich mit Angestellten bei weltlichen Unternehmen.
Die Gewerkschaft ver.di hatte für den 1. August zu einem Warnstreik an dem kirchlichen Sophien- und Hufeland-Klinikum in Weimar aufgerufen. Daraufhin beantragten die evangelische Kirche, das Diakonische Werk Mitteldeutschland und die Klinikleitung im Eilverfahren vor dem Erfurter Arbeitsgericht, den Streik zu untersagen. Entsprechend entschied das Arbeitsgericht und verbot den Warnstreik, den die Gewerkschaft denn auch absagte.
Nach eigenen Angaben steht die Kirche für Dialog und Teilhabe, gegenüber ihren eigenen Beschäftigten werde sie diesem Anspruch jedoch nicht gerecht. Fachkrankenpfleger Mathias Korn, der sich in der Mitarbeitervertretung des Klinikums und auch bei ver.di engagiert: „Wir fühlen uns wie vor den Kopf gestoßen. Wir wollen nichts anderes, als über unsere Arbeitsbedingungen so mitzubestimmen, wie es auch in weltlichen Betrieben möglich ist. Dass Diakonie und Kirche darauf mit Ablehnung und Anklage reagieren, finde ich als Beschäftigter, aber auch als Christ, sehr irritierend.“
Eine grundsätzliche Klärung wird angestrebt
Der Streit um den untersagten Warnstreik an dem kirchlichen Klinikum in Weimar betrifft ein altes Privileg der Kirchen im Arbeitsrecht. Der von den Kirchen für sich reklamierte „Dritte Weg“ bedeutet, dass die Arbeitsrechts- und Tarifregelungen weder durch einseitige Arbeitgeberbeschlüsse („Erster Weg“) noch durch mit Gewerkschaften abgeschlossene Tarifverträge („Zweiter Weg“) geregelt werden, sondern eben auf einem „Dritten Weg“: Kommissionen, in denen Vertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sitzen, beraten und entscheiden unter Beteiligung von kirchlichen Vertretern über die Arbeitsbedingungen.
In dem nun für Februar anberaumten Kammertermin streben beide Seiten eine grundsätzliche Klärung der Ausgestaltung des sogenannten „Dritten Wegs“ im kirchlichen Arbeitsrecht an. Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Entscheidung sei nicht ausgeschlossen, dass das Verfahren bis zum Europäischen Gerichtshof in Luxemburg getragen werden könnte.
In Niedersachsen besteht bereits ein Tarifvertag für die Diakonie und somit gute Bedingungen für die Beschäftigten. Anwendung findet dieser hingegen nicht flächendeckend und Arbeitskämpfe umzusetzen gestaltet sich weiterhin schwierig. Eine grundsätzliche Klärung zum “Dritten Weg“ ist zur weiteren Entwicklung anzustreben.