Der jüngst veröffentlichte Abschluss der Arbeitsrechtlichen Kommission der Diakonie in Mitteldeutschland lässt aufhorchen. Zum 01.01.2023 sollen die Entgelte um 5,9% und zum 01.01.2024 um weitere 4,9% steigen. Zudem wurde in die Entgelttabelle eine zweite Erfahrungsstufe in Höhe von 110% eingefügt und es wurde die Verweildauer in den einzelnen Erfahrungsstufen zum 01.01.2023 verkürzt. Zum 01. Juli 2024 sinkt dann schließlich die Wochenarbeitszeit von 40 auf 39 Stunden.
Insgesamt klingt das Ergebnis nach einer erfolgreichen Verhandlungsrunde für die Arbeitnehmerseite. Doch ist es das wirklich? Um diese Frage zu beantworten, bedarf es einiger Hintergrundinformationen.
Gesamtausschuss der Diakonie Mitteldeutschland kämpft für Tarifvertrag
Schon im letzten Jahr berichteten wir darüber, dass der Gesamtausschuss der Diakonie Mitteldeutschland seine Forderung nach Tarifverhandlungen veröffentlicht hatte, welche von der Arbeitgeberseite allerdings nicht erhört wurde. Kurz darauf ging die Arbeitgeberseite noch weiter und beschloss einseitig eine Entgelterhöhung. Zu diesem Zeitpunkt waren die Arbeitnehmervertreter:innen nicht mehr zu den Verhandlungsterminen der ARK erschienen, um ihrer legitimen Forderung nach Tarifverhandlungen Ausdruck zu verleihen. Auch hierüber berichteten wir. Schon damals war es eine Farce, diese Art der Arbeitsrechtssetzung noch als „konsensualen Weg“ zu bezeichnen. Wenn eine von beiden Verhandlungsparteien die Form der Verhandlungen begründet ablehnt, kann von einem Konsens in keinster Weise die Rede sein.
GAMAV-Vertreter treten aus ARK zurück
Im April diesen Jahres informierte der Gesamtausschuss der Diakonie Mitteldeutschland auf seiner Homepage dann in einem zweiseitigen Statement darüber, dass sich die vom GAMAV unterstützen Mitglieder der ARK von ihren Ämtern zurückziehen. Dabei übte der Gesamtausschuss drastische Kritik am 3. Weg und den „Ergebnissen“ der ARK, sowie am Umgang mit den Arbeitnehmervertreter:innen:
Von Verhandlungen auf Augenhöhe ist dieser »Dritte Weg« weiter entfernt als der Mars.
Informationsblatt GAMAV Diakonie Mitteldeutschland
Entsprechend miserabel sind die Ergebnisse. Um gerade mal 1,9 Prozent stiegen die Einkommen
zum 1. Januar dieses Jahres, so der einseitige Beschluss der Arbeitgeber vom Mai 2021.
Drastische Reallohnkürzungen zu beschließen und sich nachher über fehlende Arbeitskräfte zu
beschweren – das passt nicht zusammen.
Das Fass zum Überlaufen gebracht hat nun der Versuch, einzelne Beschäftigtenvertreter in der
Arbeitsrechtlichen Kommission mit juristischen Mitteln zur Mitarbeit am »Dritten Weg« zu zwingen.
Wenn Kollegen individuell verklagt werden, weil sie in der Arbeitsrechtlichen Kommission so
handeln, wie es die Mitarbeitervertretungen von ihnen erwarten, bleibt nur ein Schritt: Wir, die vom GAMAV unterstützen Mitglieder der Arbeitsrechtlichen Kommission, treten aus der ARK zurück.
Matthias Korn, stellvertretender GAMAV-Vorsitzender und nun ehemaliges Mitglied der Arbeitsrechtlichen Kommission, fasst das Verhalten der Arbeitgeberseite zusammen:
Wir haben es ausprobiert und 2018 die schrittweise Angleichung der Bezahlung an das Westniveau, Arbeitszeitverkürzung, Entlastung für Ältere und zusätzliche freie Tage bei häufigen Dienstplanänderungen beantragt. All das haben die Arbeitgeber vom Tisch gewischt – und jammern jetzt darüber, dass ihnen das Personal wegläuft. Auch ohne uns könnten die Arbeitgeber bessere Bedingungen beschließen. Doch sie tun es nicht. Sie allein tragen die Verantwortung dafür, dass die Zustände immer schlechter werden. Die Alternative liegt auf der Hand: Tarifverträge, über die Gewerkschaft und Arbeitgeber auf Augenhöhe verhandeln.
Matthias Korn im Informationsblatt GAMAV Diakonie Mitteldeutschland
Welchen Willen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen die Arbeitgeberseite hat, zeigte sich schon letztes Jahr im vergleichsweise niedrigen Abschluss von nur 1,9%, wohlgemerkt ohne Beteiligung der Arbeitnehmerseite. Doch warum sieht der Abschluss nach dem Austritt der GAMAV-Vertreter nun doch so stark aus?
Letztes Aufbäumen vor dem Tarifvertrag?
Nach dem Austritt der GAMAV-Vertreter verbleiben wohl vorerst nur die Vertreter:innen des VKM EKM auf der Arbeitnehmerseite der ARK Diakonie Mitteldeutschland. Ein Verband, welcher sich in der eigenen Satzung die „Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung des Dritten Weges im Bereich Evangelischen Kirche Mitteldeutschland, Anhalts und ihrer Diakonischen Einrichtungen“ zur Aufgabe gemacht hat und den aktuellen Abschluss als eigenen Erfolg auf der Homepage verkündet, ist wohl kaum wirklich für richtige Tarifverhandlungen zu begeistern. Dennoch hat der VKM-EKM im Februar 2021 mit dem GAMAV und ver.di zusammen Stellung bezogen und zu Tarifverhandlungen aufgefordert. Ist diese Positionierung aber wirklich ernst zu nehmen, wenn die VKM-Vertreter weiterhin am 3. Weg teilnehmen? Unserer Ansicht nach nicht. Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, sollten auch die VKM-Vertreter die Mitarbeit in der ARK einstellen.
Dennoch: dass dieser hohe und arbeitnehmerfreundliche Abschluss genau jetzt zustande kommt, ist natürlich kein Zufall. Zum einen sind es die politischen Rahmenbedingungen, die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen im Sozialen Bereich notwendig machen, zum anderen aber der Druck, unter dem die Arbeitgeberseite der Arbeitsrechtlichen Kommission nun steht. Mit den Vertretern des GAMAV hat ein signifikanter Anteil der Arbeitnehmerseite die ARK verlassen. Diese Haltung ist Ausdruck und Folge des nachdrücklichen Wunsches der Mitarbeitenden, zu einem Tarifvertrag zu gelangen und kann folgerichtig von der Arbeitgeberseite nicht lange ignoriert werden. Das gute Ergebnis der Verhandlungen ist also mehr ein Beschwichtigungsversuch, um die Mitarbeitenden auf den letzten Metern doch vom guten Willen und dem vermeintlichen Gelingen der Arbeitsrechtssetzung auf „konsensualem Weg“ zu überzeugen. Ein weiterer schlechter Abschluss wäre nichts anderes als Wasser auf die Mühlen der Tarifforderungen gewesen, was die Arbeitgeber offensichtlich um jeden Preis verhindern wollen. Auch, wenn der Preis dafür deutlich bessere Arbeitsbedingungen und Entgelte sind.
Alleine diese Tatsache macht deutlich, wie wirkungsvoll und wichtig der Schritt der GAMAV-Vertreter war und ist. In Niedersachsen haben wir es vorgemacht und gezeigt, dass es auch im diakonischen Bereich ohne Probleme Tarifverträge geben kann. Unsere Solidarität gilt den Kolleginnen und Kollegen des GAMAV Diakonie Mitteldeutschland!