Derzeit finden in der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes wieder umfangreiche Streikmaßnahmen statt, mit denen die Gewerkschaften und ihre Mitglieder auf die unzureichenden Angebote der Arbeitgeberseite reagieren. Mitten in dieser Phase des Arbeitkampfes überrascht Hans-Joachim Lenke, Vorstandssprecher der niedersächsischen Diakonie mit einer Aussage zum Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen. Kurzum: er verneint, dass es ein Streikrecht gibt.
Solidarität mit Erlaubnis ist in Ordnung, Streiken aber verboten?
Die Aussage findet sich am Rande eines Artikels, der auf der Homepage der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers erschienen ist. Eigentlich geht es dort um den Personalmangel im Bereich der Kindertagesstätten. Lenke wird jedoch in einem Satz mit folgendem Statement zitiert:
„Mit Blick auf den für Mittwoch von der Gewerkschaft ver.di ausgerufenen Streik im öffentlichen Dienst, von dem auch Kitas betroffen sein werden, sagte Diakonie-Chef Lenke, dass es Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern evangelischer Kitas trotz kirchlichem Streikverbot freistehe, sich mit den Streikenden zu solidarisieren. Er appellierte jedoch an die Träger, bei der Entscheidung, ob sie den Beschäftigten freigeben können, den Wunsch der Eltern nach verlässlicher Betreuung zu berücksichtigen.“
Zum einen spricht Lenke dort also von einem „kirchlichen Streikverbot“ und zum anderen davon, dass der Solidarisierung mit den Streikenden ein „freigeben“ der Träger voraus geht. Es bleibt offen, ob es dabei nur um ein „frei geben“ im Sinne der Dienstplanung oder eine tatsächliche „Freigabe“ im Sinne einer Genehmigung geht. Inhaltlich sind diese Aussagen aus unserer Sicht falsch. So besteht kein generelles Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen. Richtig ist, dass der Streik – wie überall sonst auch – an einen Streikaufruf der Gewerkschaft gebunden ist. Wenn diese jedoch zum Streik aufruft, dürfen auch Arbeitnehmer:innen aus kirchlichen Einrichtungen in grundrechtlich zugesichertes Streikrecht in Anspruch nehmen und streiken.
Erstmals Streikbeteiligung kirchlicher Arbeitnehmer:innen in TVöD-Runde
Ein gutes Beispiel ist gerade die Streikbeteiligung von Arbeitnehmer:innen kirchlicher Betriebe in Baden-Württemberg. Dort findet auch in der Diakonie weitestgehend der TVöD Anwendung, weshalb sich die Kolleginnen und Kollegen auch am Streik beteiligen. Schon in der Tarifrunde 2022 zum TVöD SuE hatten Arbeitnehmer:innen kirchlicher Kitas sich am Streik beteiligt. Auch in Frankfurt haben sich Arbeitnehmer:innen einer katholischen Kita an den aktuellen Warnstreiks beteiligt, sodass die Kita geschlossen war. „Es ist wichtig, dass wir in der sozialen Arbeit unsere Rechte geltend machen – und das tun wir jetzt.“ wird ein Erzieher der Einrichtung zitiert.
Möchte die Kirche den Willen ihrer Arbeitnehmer:innen wirklich ignorieren?
Es gibt also in Kirche und Diakonie ein zunehmendes Bestreben, sich auf Arbeitnehmer:innenseite an der Arbeitsrechtsetzung über Tarifverträge zu beteiligen. Die Arbeitnehmer:innen wollen Tarifverträge und damit sind eben notwendigerweise auch Arbeitskampfmaßnahmen verbunden, sollte es in Verhandlungen nicht zu einer Einigung kommen. In Anbetracht der aktuellen Kritik an den kirchlichen Sonderrechten täten Kirche und Diakonie gut daran, dieses Interesse der Arbeitnehmer:innen zu berücksichtigen und sich nicht dagegen zu versperren. Sonst ist der im Ausgangsartikel angesprochene Personalmangel bald noch größer als er es jetzt schon ist.