„Streiks sind zulässig“, titelt die Gewerkschaft ver.di über einem Interview mit dem emeritierten Professor für deutsches und europäisches Arbeitsrecht, Wolfgang Däubler. Dieser war an der Universität Bremen tätig, ist Autor einer Vielzahl arbeitsrechtlicher Veröffentlichungen und der Ansicht, dass die Kirche sich nicht auf ein Streikverbot im Dritten Weg berufen könne.
Aktuelle Speerspitze: Arbeitnehmer:innen des Sophien- und Hufeland-Klinikum Weimar
Der aktuell bundesweit von Kirche und Diakonie am meisten beachtete Konflikt um das Streikrecht betrifft das Sophien- und Hufelandklinikum Weimar. Bereits im zuletzt erschienenen Artikel Arbeitskampfbereitschaft und Kirche hatten wir diesen Streitfall genannt. Die Gewerkschaft ver.di hatte zum Streik aufgerufen, der jedoch nach einem Eilverfahren vor dem Arbeitsgericht Erfurt untersagt und von der Gewerkschaft somit wieder abgesagt wurde. Da die Hauptsache jedoch noch verhandelt wird, steht eine Klärung der Streikrechtfrage weiter aus.
Prof. Wolfang Däubler mit eindeutiger Meinung
Im Interview zeigt sich, dass Däubler zum Streikrecht in Kirche und Diakonie eine eindeutige Meinung vertritt. Er bezieht sich in seinen Ausführungen auf eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) von 2012, in der ein generelles Streikverbot in Kirche und Diakonie verneint wurde. Danach sei jedoch möglich, dass die Tarifautonomie inklusive Streikrecht in einer kirchlichen Einrichtung durch ein paritätisches Verhandlungs- und Schlichtungsverfahren ersetzt werde. Däubler stellt aber auch klar: diese Bedingungen, kirchliche Einrichtung, Verbindlichkeit und Parität, müssen erfüllt sein. Andernfalls greift die vom BAG formulierte Ausnahme nicht.
Das Sophien- und Hufelandklinikum Weimar gehört zur Diakonie und befindet sich in kirchlicher Trägerschaft. Doch das alleine reiche laut Däubler nicht aus: „Eine Einrichtung hat nicht schon dann kirchlichen Charakter, wenn sie der Kirche gehört. Vielmehr muss sie im Alltag kirchliche Grundsätze realisieren. Das BAG hat zum Beispiel einer Gesellschaft, die ausschließlich diakonische Einrichtungen in wirtschaftlichen und juristischen Fragen unterstützte, die Eigenschaft als kirchliche Einrichtung abgesprochen, obwohl sie zu 100 Prozent der Kirche gehörte – weil die von ihr erbrachten Tätigkeiten nicht vom kirchlichen Auftrag geprägt seien. Gleiches gilt für Leiharbeitsunternehmen oder Einrichtungen, die sehr viele Leiharbeiter einsetzen.“ Auch eine Gewinnerzielungsabsicht führe laut Däubler, der sich dabei auf das Bundesverfassungsgericht bezieht, zum Verlust des kirchlichen Charakters einer Einrichtung. Dieser richte sich nämlich nach dem kirchlichen Prinzip der Nächstenliebe, welche völlig unabhängig von finanziellen Anreizen praktiziert werden sollte.
Angesichts der kolportierten 34 Millionen Euro Gewinn des Sophien- und Hufelandklinikums Weimar von 2014 bis 2022 äußert Däubler zwar, dass nicht alleine die Höhe des Gewinns maßgeblich sei. Es sei allerdings von Bedeutung, wenn der Kostendruck auf die Arbeitnehmer:innen so hoch ist, dass an praktizierte Nächstenliebe nicht mehr zu denken sei. Däubler sieht durch den allgemeinen Kostendruck im Gesundheitswesen, gepaart mit Personalknappheit, den Charakter einer kirchlichen Einrichtung in Weimar nicht gelebt und daher auch keinen Grund, Streiks zu untersagen.
Verfahren der Kommissionen nicht paritätisch
Da die Gewerkschaften auf der Arbeitnehmer:innenseite der arbeitsrechtlichen Kommissionen (ARK) immer in der Minderheit seien, sei eine aktive Einflussnahme auf das Ergebnis – wie es bei Tarifverhandlungen im zweiten Weg der Fall ist – im dritten Weg nicht möglich. Zur Durchsetzung der Mitgliederinteressen sind die Gewerkschaften immer darauf angewiesen, Unterstützung bei den anderen Arbeitnehmer:innen der ARK zu finden. Nach Däubler faktisch eine „Marginalisierung“ der Gewerkschaften, da Gewerkschaften grundsätzlich eine andere Unabhängigkeit hätten, als bei der Kirche direkt angestellte Arbeitnehmer:innen.
Somit reicht es laut Däubler eben nicht aus, dass die Kirchen den Gewerkschaften Plätze in den ARK zugestehen: „Das Verfahren muss, wie bei Tarifverhandlungen, zu einem ausgewogenen Ergebnis führen können. Wenn es in der Arbeitsrechtlichen Kommission keine Einigkeit gibt, können beide Seiten eine verpflichtende Schlichtung anrufen. Da die Gewerkschaften in einer Minderheitenposition sind, sind sie dazu aus eigener Kraft aber gar nicht in der Lage, was sie faktisch marginalisiert. In der Schlichtungskommission ist letztlich die Stimme des Vorsitzenden ausschlaggebend. Seine Neutralität ist über das Bestellungsverfahren aber nicht ausreichend gesichert, weshalb die Beschäftigten deutlich schlechtere Chancen zur Durchsetzung ihrer Interessen haben als die Arbeitgeber. Es ist also keine wirkliche Parität gegeben.“
Die kirchlichen Verfahren sind kein Äquivalent zur Tarifautonomie, die Anforderungen des BAG von 2012 sind nicht erfüllt. Von daher bleibt es beim Streikrecht.
Prof. Wolfgang Däubler, mit Bezug auf den ehemaligen BAG-Präsidenten Thomas Dieterich
Auch Verbindlichkeit ist nicht gegeben
Eine weitere Anforderung des BAG war die Verbindlichkeit der kirchenintern ausgehandelten Regelungen. Ansprüche aus Tarifverträgen können von Gewerkschaftsmitgliedern eingeklagt werden. Die Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) bedürfen zur Geltung aber einer Bezugnahme im Arbeitsvertrag. Kirchliche Einrichtungen könnten diese Bezugnahme laut Däubler jedoch ohne weitere Konsequenzen einschränken oder gänzlich entfallen lassen. Dies wäre zwar ein Verstoß gegen kircheninterne Vorgaben, die allerdings folgenlos bleiben würden. In der katholischen Kirche gäbe es sogar ein Vetorecht des Bischofes. Dieser müsse die Ergebnisse der ARK oder der Schlichtung erst noch bestätigen. „Mit den vom BAG genannten Bedingungen ist das selbstverständlich nicht vereinbar.“, so Däubler.
Fazit: „Die Kirche wird sich an das kollektive Arbeitsrecht erst noch gewöhnen müssen“
Die agmav Niedersachsen beobachtet die Entwicklung um die Sophien- und Hufelandklinik Weimar und die dort entstandene Tarifbewegung mit großer Aufmerksamkeit und steht solidarisch an der Seite der Arbeitnehmer:innen, die sich eine wirkliche Mitgestaltung ihrer Arbeitsbedingungen wünschen. Aus unserer Sicht war es nie gerechtfertigt, ein gesondertes Arbeitsrecht für die Kirchen zu etablieren. Kirche und Diakonie täten gut daran, die Interessen der Arbeitnehmer:innen ernst zu nehmen und sich dem zweiten Weg, dem Tarifvertragsweg, zu öffnen. Der Norden hat in der Nordkirche und Niedersachsen schon eine Vorreiterrolle eingenommen. Dieses Positivbeispiel muss nun bundesweit ausgerollt werden. Es wird Zeit!